Interview mit Tour-du-Faso-Gewinner Daniel Bichlmann

“Ich bin unerwartet auf meinen persönlichen Olymp geklettert“

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Daniel Bichlmann hat die Tour du Faso gewonnen. | Foto: Embrace the World

10.11.2021  |  (rsn) - Mit dem Gesamtsieg bei der Tour du Faso hat Daniel Bichlmann den größten Erfolg seiner Laufbahn gefeiert. Gegenüber radsport-news.com äußerte sich der 33-Jährige von den Maloja Pushbikers, der bei der Rundfahrt durch Burkina Faso für das Schweizer Team Kibag-Obor-CKT antrat, zu den zehn besten Tagen seiner Karriere und erklärte, warum er in der kommenden Saison sich wieder auf seine Rolle als Road Captain und Helfer beschränken wird.

Herr Bichlmann, Sie haben am vergangenen Wochenende mit der Tour du Faso die größte afrikanische Rundfahrt gewonnen. Wie empfinden Sie das mit einigen Tagen Abstand?
Daniel Bichlmann: Vollkommen surreal, ich bin über zehn Tage völlig unerwartet ein perfektes Rennen gefahren. So etwas passiert höchstens einmal im Radfahrerleben.

Wie hatten Sie vor dem Start Ihre Chancen auf einen solchen Coup eingeschätzt?
Bichlmann: Ziemlich genau bei 0 Prozent. Am Vorabend der 1. Etappe habe ich beim ersten Meeting noch vehement alle Verantwortung auf eine gute Platzierung in der Gesamtwertung von mir gewiesen und war ausschließlich auf ein, zwei Tagesresultate konzentriert.

Wann war Ihnen klar: Ich kann das Ding gewinnen?
Bichlmann: Nach der 6. Etappe - dem Teamzeitfahren - war die Ausgangsposition ganz gut. Als ich das Gelbe Trikot tags drauf dank einer wahnsinnigen Leistung der gesamten Mannschaft geholt habe, wollte ich es unter allen Umständen unbedingt bis nach Ouagadougou (der Hauptstadt von Burkina Faso und dem Ziel der Rundfahrt, d. Red.) verteidigen.

War das der Höhepunkt Ihrer Karriere?
Bichlmann: Sportlich absolut, ja. Ich habe im Sport unzählige wunderschöne Momente erleben dürfen, aber rein faktisch ist das, ohne nur im Ansatz etwas Vergleichbares zu finden, mein absolut allergrößter individueller Erfolg. Ich würde sagen, ich bin unerwartet auf meinen persönlichen Olymp geklettert. Als 13-Jähriger hätte ich natürlich lieber die Tour de France als die Tour du Faso gewonnen. Aber nach all den Jahren und den unzähligen Reisen kann ich mir kein Rennen vorstellen, das ich heute lieber gewinnen würde und welches mehr ein Bild meiner Karriere zeigen könnte.

Ändert der Sieg nun Ihre Ziele für die kommende Saison - Sie haben ja nun gezeigt, wozu Sie fähig sind?
Bichlmann: Nein, nicht wirklich. Ich sehe das realistisch - die Wahrscheinlichkeit, zweimal mit den gleichen Zahlen im Lotto zu gewinnen, ist ja auch recht klein. Ich habe 20 Jahre auf das perfekte Rennen gewartet und in Burkina Faso kam einfach alles zusammen. Mein Leistungsvermögen spiegelt der Sieg nicht unbedingt wieder. Es hat einfach absolut alles ideal gepasst. Ich bin überglücklich, dass das Schicksal, das Karma und/oder der liebe Gott mir das einmal in meiner Karriere ermöglicht haben.

Also bleibt alles beim Alten?
Bichlmann: Ich gehe stark davon aus, dass meine Rolle und die damit verbundenen Aufgaben als Road Captain bei den Maloja Pushbikers unverändert bleibt. Hier bin ich Helfer und Mentor auf dem und abseits des Rades. Im Rampenlicht können gerne andere stehen. Als alter Hase lege ich den Fokus im Rennen darauf, anderen zu Spitzenresultaten zu verhelfen und nicht selber zu gewinnen. Jeder Erfolg des Teams ist auch ein persönlicher Erfolg für mich selbst.

Wie war das sportliche Niveau bei der Tour du Faso?
Bichlmann: Das Niveau beim größten Rennen Afrikas ist gewiss nicht mit einem europäischen Peloton in der Kernsaison direkt vergleichbar. Aber viele Profis verschiedenster Nationen, darunter Weltmeisterschafts- und Olympia-Teilnehmer, sind hier und bis in die Haarspitzen motiviert. Die Konkurrenz war gut und würde in der Spitze auch in Europa vorne mitmischen. Davon abgesehen sind die äußeren Umstände sehr hart und man muss mental stark sein.

Was außer dem Gelben Trikot nahmen Sie von der Tour du Faso mit nach Hause?
Bichlmann (lachend): Das allerwichtigste: Ich bin endlich Millionär! - leider in der falschen Währung. Aber im Ernst: Burkina Faso gibt mir einen sehr konkreten Eindruck davon, wie privilegiert wir Europäer sind. Unser Lebensstil ist fraglos auf dem allerhöchsten Niveau. Die meisten unserer Probleme sind entweder keine oder selbstgemachte. Ein kranker Konsum-Überfluss macht uns das Leben eher schwerer als einfacher, “Social“ Media trennt uns mehr, als es uns zusammen bringt. Ich könnte hier unzählige Anekdoten und Beispiele anführen. Viele von uns meinen, die Welt dreht sich nur um sie selbst (ich schließe mich da mit ein) - das große Ganze sehen wenige. Eine Gesellschaft, die nicht nur nichts mehr braucht, sondern alles bereits mehrfach hat, ist schwer noch glücklicher zu machen. In Schwarzafrika ist eben alles lockerer und überschaubarer. Gefühlt ist dort Stress ein Fremdwort. In zwei Wochen habe ich weder ein Kind quengeln gehört, jemanden hetzen sehen oder einen Streit unter Einheimischen mitbekommen. Ich wurde nicht einmal belehrt, zurechtgewiesen oder unfreundlich behandelt. Man erfreut sich nach kurzer Zeit an den für uns selbstverständlichsten Dingen: trinkbares Wasser, Elektrizität, einen vollen Teller, ein Bett…

Wollen Sie künftig mehr Rennen in Afrika bestreiten?
Bichlmann: Ich liebe es zu reisen und neue Länder und deren Sitten kennenzulernen - das ist seit jeher mein Lebensinhalt. Gerne würde ich 2022 das eine oder andere exotische Radrennen bestreiten. Der Rennkalender der Pushbiker sieht allerdings etwas anderes vor - gerade mit meinen Beruf als Kaminkehrer wären viele solcher Reisen auch zeitlich gar nicht möglich. Auch jungen Fahrern, die von Tour de France-Siegen und Weltmeisterschaften träumen, ist es sicherlich ganz schwer, so etwas wie Faso schmackhaft zu machen - da so eine Reise mit einem gewissen (auch finanziellen) eigenen Engagement und Vorbereitungen verbunden ist. Letzten Endes entscheiden ja die Sponsoren, was von Interesse ist und was nicht. Bei dieser Gelegenheit muss ich mich einfach nochmals bei den Pushbikern und all deren super Sponsoren bedanken, die mich für die Tour du Faso freigestellt haben. Es wäre einfach gewesen, mich schlichtweg nicht gehen zu lassen. Gerade der Hauptsponsor Maloja hat mir noch viele Sachspenden mitgegeben und mich unterstützt. Dafür bin ich ungemein dankbar und werde das dieses mir gegebene Vertrauen voll zurückgeben!

Denken Sie nicht doch an die Titelverteidigung?
Bichlmann: Ich freue mich sehr auf meine Aufgaben als Road Captain bei europäischen Rennen und hoffe, dem einen oder anderen Talent in seiner Entwicklung weiterhelfen zu können. Eine Titelverteidigung schließe ich so gut wie aus. Für mich persönlich kann es in Burkina Faso jetzt nur schlechter werden. Allerdings empfehle ich allen, unbedingt mal so eine Reise und die damit kommende Erfahrung zu machen! “Weltanschauung durch Welt anschauen.“

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