Müllers Tour-de-Filipinas-Tagebuch

Berghoch wird attackiert, anders ist es hier nicht vorstellbar

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Berghoch wird attackiert, anders ist es hier nicht vorstellbar"
Robert Müller (NEX) bestreitet ab Freitag die Tour de Filipinas (2.2) | Foto: Müller

15.06.2019  |  (rsn) - Hallo aus Camarines Norte, Bicol, Philippinen! Zunächst noch ein Nachtrag zu gestern. Neben meinem mit Schlüsselbeinbruch ausgeschiedenen Teamkollegen Panha und meinem Zimmerkollegen Jerome, der in den Besenwagen gestiegen ist nachdem er nach der Hälfte abgefallen war, haben wir gestern auch noch Bonzo verloren, der das Zeitlimit leider nicht geschafft hat. Somit gingen wir heute zur längsten Etappe über inkl. Neutralisation 200 km nur noch zu zweit an den Start und das auch nur, weil das Zeitlimit von 10% auf 14% angehoben wurde, sonst wäre ich auch raus gewesen. Mein Rad hat unser Mechaniker Faizal wieder hinbekommen, denn es war zum Glück nur das Schaltauge gebrochen und ich hatte natürlich Ersatz dabei.

Meine Verspannungen und Schmerzen an verschiedenen Stellen sind über Nacht leider nicht verschwunden, im Gegenteil ist noch ein fieser Muskelkater im Trizeps beider Arme dazu gekommen, als hätte ich gestern sehr viele Dips gemacht. Auch waren die mysteriösen roten Flecken an den Oberschenkeln noch da, die aber nicht weh tun und die ich mir zunächst nicht erklären konnte. Mittlerweile bin ich aber darauf gekommen, dass es Sonnenbrandflecken sind, die ich gestern während der dreieinhalb Stunden durch die Löcher meiner vom Sturz zerfetzten Radhose auf der weißen Haut bekommen hatte. Da hätte ich eigentlich schon während der Etappe dran denken und mich dort eincremen können.

Die Etappe heute führte nach Osten und gleich nach 10 km wurde die Bergwertung abgenommen. Der Anstieg ging über 250 Höhenmeter und wie ich erwartet hatte wurde ich abgehängt, fiel aber nicht aus der Kolonne heraus und konnte mit einer Gruppe kontrolliert wieder ins Feld nach vorne fahren. Dort angekommen wurde gerade komplett das Tempo heraus genommen und ich stellte schnell fest, dass 9 Fahrer in zwei Gruppen vorne raus waren. In der ersten vierköpfigen Gruppe war Mario Vogt von Sapura vertreten, obwohl er heute eigentlich nicht vor gehabt hatte, in die Gruppe zu gehen, wie er mir noch am Start erklärt hatte.

Nach dem Rennen erzählte er mir dann, dass er mit den ersten 20 Fahrern über die Bergwertung gekommen war und danach seinem Teamkollegen die erste Sprintwertung nach 24 km anfahren wollte und dabei in der Gruppe des Tages gelandet ist. Zuerst hat er sich darüber sogar noch geärgert, denn das war ja nicht sein Plan gewesen. Als die Gruppe vier Minuten Vorsprung hatte, wurde hinten zaghaft die Verfolgung vom chinesischen Team des Gesamtführenden aufgenommen. Es war aber immer noch entspannt genug, damit ich mich weiterhin mit einigen befreundeten Fahrern aus Indonesien, Malaysia und von den Philippinen unterhalten konnte. Von ihnen wurde ich auch so gut mit Getränken mitversorgt, dass ich während der knapp fünfstündigen Etappe nur einmal ans Teamauto fahren musste, um mir Flaschen zu holen.

Irgendwann holten wir die fünfköpfige, zweite Gruppe ein und es waren nun nur noch die vier Mann vorne, allerdings mit einem Vorsprung, der lange Zeit zwischen 6 und 7 Minuten lag. Es ging die meiste Zeit in Wellen hoch und runter und viele der Anstiege nutzten einheimische Fahrer, um aus dem Feld heraus zu attackieren, bei dem zuvor genannten Rückstand zu Spitze wohlgemerkt. Aber das wundert mich hier schon lange nicht mehr, wenn es aufwärts geht wird eben attackiert, anders ist es nicht vorstellbar. Ich hielt mich da natürlich komplett heraus und dümpelte den Großteil der Etappe hinten herum, wobei bei einem 50-köpfigen Feld hinten auch nicht so weit hinten ist. Meine Beine drehten nicht so richtig rund, aber ich kam zurecht.

Am Unangenehmsten war, als wir in einen heftigen Regenschauer kamen, aber nicht weil es deswegen kalt geworden wäre, im Gegenteil bot er keinerlei Abkühlung. Sondern weil dadurch meine bereits abgetrockneten Schürfwunden an Knien, Ellbogen und Unterarmen, die ich nicht verbunden hatte, wieder aufweichten und ordentlich zu brennen begannen als die Drecksbrühe hinein lief. Als der Schauer vorbei war, wurde es jedoch langsam wieder besser. Landschaftlich war die Strecke ganz schön, anfangs fuhren wir am Meer entlang und dann viel durch dichten Wald mit Palmen und nur kleinen Dörfern. Zum Glück war es auch die meiste Zeit bewölkt und die Sonne brannte nicht unbarmherzig auf uns nieder. Nervig waren einige Abschnitte mit grober Schotterpiste an Baustellen.

Im Finale wurde das Tempo dann nochmal ordentlich angezogen, aber der Vorsprung der Spitzengruppe war zu groß und es war klar, dass sie durchkommen würde. Das tat sie auch mit etwas über 3 Minuten Vorsprung und Mario konnte im Sprint die Etappe gewinnen, eine außerordentlich starke Leistung nach 170 km zu viert vorne im Wind. Außerdem übernahm er noch das Sprinttrikot, da haben sich die Strapazen auf jeden Fall gelohnt. Im Feld gab es einen chaotischen Sprint mit einem Sturz um die Plätze, ich beteiligte mich nur halbherzig und kam als 14. ins Ziel, eigentlich nicht der Rede wert. Im Zielbereich herrschte dann viel Zuschauerandrang und ich musste mir mühsam einen Weg zum Teamauto bahnen.

Am Abend gab es dann ein großes Governor's Dinner in einer Festhalle mit Tanz, Gesang und vielen Reden, bei denen alle nur darauf hofften, dass sie möglichst bald vorbei sein mögen, damit endlich das Buffet eröffnet werden würde. Als es so weit war, hatte ich mir bereits eine gute Ausgangsposition gesichert, aber genau in dem Moment als ich an der Reihe war wurde mein Team auf die Bühne gerufen, um unsere Geschenke in Empfang zu nehmen. Also gab ich meinen Platz auf und musste mich später wieder hinten anstellen. Unter den Geschenken waren zu meiner Freude Rundfahrtshirts für meine Sammlung von Rennen in Südostasien. Was mir beim Dinner auffiel war ein australischer Fahrer, der an Krücken humpelte, ich muss ihn morgen mal fragen wie es dazu gekommen ist.

Die Etappe morgen führt über 184 km nach Südosten direkt ans Meer, aber baden gehen ist für mich mit meinen Wunden jetzt leider nicht mehr drin. Das Profil sieht ähnlich wie heute aus, allerdings gibt es keine Bergwertung, und es könnte auch wieder eine Gruppe durchkommen. Die Mannschaft des Führenden ist nämlich nur noch zu viert und hat heute bereits viel gearbeitet.

Morgen gleiche Stelle, gleiche Welle

Gez. Sportfreund Radbert

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