Müllers Tour de Banyuwangi-Tagebuch

Ein Himmelfahrtskommando, für das ich noch büßte

Von Robert Müller

Foto zu dem Text "Ein Himmelfahrtskommando, für das ich noch büßte"
Robert Müller qälte sich den brutal schweren Schlussanstieg hinauf | Foto: Robert Müller

29.09.2019  |  (rsn) - Hallo aus Bali, Indonesien! Hier nun mit einem Tag Verspätung, da ich mich gestern Abend sehr schlecht gefühlt hatte, noch der Bericht zur gestrigen Etappe. Es stand die letzte Etappe über 130 km mit dem angeblich schwersten Anstieg im Radsport an, der gefürchteten Bergankunft auf den Ijen Vulkan in 1900 m Höhe. Der Anstieg beginnt auf Meereshöhe und führt über etwa 20 km mit vielen unglaublich steilen Rampen mit bis zu 28% Steigung auf einer im oberen Teil schmalen schlechten Straße.

Wie letztes Jahr wollte ich in die Gruppe des Tages gehen, um auf die drei Sprintprämien und die erste Bergwertung am Fuß des Anstiegs zu fahren. Dementsprechend startete ich wieder aus der ersten Reihe und ging gleich die Startattacke mit, die jedoch noch nicht erfolgreich war. Wenig später stand dann eine neunköpfige Spitzengruppe und ich war mit dabei. Eigentlich war es ein Himmelfahrtskommando, sich vor dem Anstieg über 100 km lang im Wind kaputt zu fahren und ich wusste, dass ich dafür später noch bezahlen würde.

Bei der ersten Sprintwertung merkte ich, dass einige gute Sprinter dabei waren und konnte nicht punkten. Es war nämlich ein Australier dabei, der sich über die in drei Wertungen maximal zu gewinnenden 15 Punkte noch in das grüne Trikot fahren wollte. Dafür heuerte er in der Gruppe sogar den ebenfalls sehr schnellen Holländer als Anfahrer an, wofür dieser sich bezahlen ließ. Die vier Indonesier aus verschiedenen Teams arbeiteten ebenfalls zusammen und so ging ich auch bei der zweiten Wertung leer aus.

Bis dahin arbeiteten wir ganz gut zusammen, bis auf einen Fahrer der nichts machte außer auf die Punkte zu sprinten, da er als Aufpasser seines Teamkollegens im Grünen Trikot dabei war. Nach etwa 85 km war irgendwie die Luft bei uns raus, es rissen immer wieder Löcher in der Gruppe auf und manche Fahrer wollten nicht mehr mitführen. Daher sank unser Vorsprung recht schnell von 6 auf 4,5 Minuten.

Bei der letzten Sprintwertung wurde ich Zweiter hinter dem Australier, der mit Nachnamen passenderweise “Power“ heißt und sich noch knapp das Grüne Trikot sicherte. Wenig später ging es in einen ersten kleineren Anstieg und ich biss mich bei den Indonesiern fest, weil ich noch auf die dortige Bergprämie fahren wollte. Nur knapp geschlagen wurde ich erneut Zweiter und ließ sie danach ziehen, um mein Tempo fahren zu können, denn es standen mir nun 20 verdammt harte Kilometer bevor.

Anfangs hatte ich noch einen flüssigen Tritt und kam die ersten steilen Rampen dank meiner Übersetzung von 34-32 ganz gut hinauf. Etwa 15 km vor dem Ziel kam die Spitzengruppe mit den Bergfahrern vorbei gerauscht und ich versuchte erst gar nicht, ein Stückchen mitzufahren. Mir ging es nun zunehmend schlechter und meine beiden Oberschenkelinnenseiten begannen zu krampfen. Daher fuhr ich nun an den Steilstücken Schlangenlinien, aber die Krämpfe wurden so schlimm, dass ich tatsächlich absteigen und dehnen musste.

Es war erniedrigend, ich wurde von meinem lustigen indonesischen Teamkollegen Bagus überholt und konnte erst beim zweiten Versuch wieder aufsteigen und weiterfahren. Jetzt konnte ich nur noch so langsam fahren, wie es meine kaputten Beine erlaubten. An der nächsten unglaublich steilen Rampe standen viele Zuschauer, die Fahrer schoben und so rief ich „push, push“ und wurde gut unterstützt. Das war aber auch das einzige Mal, dass ich Hilfe in Anspruch nahm. Obwohl dort hinten, wo ich fuhr, jeder nur noch ums Überleben kämpfte, fuhr wirklich niemand Klinke.

Die letzten 10 km vergingen quälend langsam und ich litt genau wie im Vorjahr wie ein Hund. Immerhin war es bewölkt und wurde immer kühler, je höher ich kam. Am Teufelslappen holte ich dann Bagus, dem es kaum besser ging als mir, wieder ein und wir fuhren gemeinsam mit 24 Minuten Rückstand über die Ziellinie. Was für eine Erlösung das doch war! Dort oben fand dann noch die Abschlussfeier mit Essen statt und ich musste darauf achten, mich vor den ganzen Teamfahrzeugen mit dem Rad auf den Weg nach unten zu machen.

Vom Vorjahr wusste ich, dass man mit dem Rad deutlich schneller wieder unten im Hotel ist, auch wenn die Abfahrt wegen der schlechten engen Straße kein Vergnügen ist. Nachdem ich im Sonnenuntergang noch im Pool baden war, ging es mir schlagartig immer schlechter. Ich bekam leichtes Fieber, mir war kotzübel und ich wurde sehr müde. Das Abendessen musste ich deshalb ausfallen lassen und konnte nur noch im Bett liegen. Glücklicherweise ging es mir aber heute Morgen schon wieder deutlich besser.

Daher fuhr ich heute noch mit einem Holländer vier Stunden mit dem Rad nach Bali, wo ich jetzt erstmal Urlaub machen werde. Den habe ich mir nach drei Rundfahrten hier in Indonesien glaube ich verdient. Während ich dies schreibe, sitze ich übrigens mit einem Spanier in einem schönen Hostel und wir schauen das WM Straßenrennen. Zum Abschluss möchte ich mich noch bei allen Lesern für das Interesse an diesem Tagebuch bedanken und hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in den Radsport in Indonesien geben.

Gez. Sportfreund Radbert

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