RSNplusAls Sportlicher Leiter bei DSM

Siebergs neue Teamkollegen heißen Word und Excel

Von Daniel Brickwedde

Foto zu dem Text "Siebergs neue Teamkollegen heißen Word  und Excel"
Marcel Sieberg (DSM) | Foto: Chris Auld

27.04.2022  |  (rsn) - Im vergangenen Winter beendete Marcel Sieberg seine lange Profikarriere und wechselte als Sportlicher Leiter zum Team DSM. Ein Job, der mehr verlangt, als nur im Auto hinter dem Fahrerfeld unterwegs zu sein, wie Sieberg nun feststellt. Er gewährte radsport-news.com Einblicke in sein neues Arbeitsleben, das aus Meetings, Reiseplanungen und Positionskämpfen im Autokonvoi besteht. Gleich im ersten Jahr steht zudem seine Premiere bei einer Grand Tour an.

Mit seiner Eingebung lag Sieberg an diesem Tag richtig. Sein Team DSM war mit der Sprinterfraktion zur Türkei-Rundfahrt angereist, auf den ersten Flachetappen fuhr die Mannschaft für Cees Bol, danach für Alberto Dainese. Es ging vor allem um die Abläufe, die Kommunikation, das Zusammenspiel im Finale. Von Tag zu Tag lief es besser, nur etwas Zählbares fehlte noch. Vor der 5. Etappe sagte Sieberg daher in der Mannschaftssitzung: "Wieso fahren wir dieses Mal nicht für Sam?“ Gemeint war Sam Welsford, ehemaliger Bahnfahrer und Neo-Profi bei DSM.

___STEADY_PAYWALL___Rückblickend sagt Sieberg, dass die Sprintvorbereitung auf jener Etappe alles andere als rund lief. "Aber manchmal reicht es, wenn man 400 Meter vor dem Ziel das richtige Hinterrad hat.“ Denn Welsford gewann das Teilstück mit Ankunft in der Hafenstadt Ayvalik: Hundert Meter vor dem Ziel zog er aus dem Windschatten von Jasper Philipsen (Alpecin - Fenix) heraus und hatte freie Bahn.

Welsford sorgt für Siebergs erstes Erfolgserlebnis als Sportlicher Leiter

Es war nicht nur für den jungen Australier der erste Erfolg als Radprofi, sondern auch für Sieberg in seiner neuen Funktion. "Ich vergleiche das schon ein wenig mit dem ersten Profisieg für mich“, sagt er, "das war schon etwas Spezielles.“ Und ebenfalls nicht ganz unwichtig für das eigene Renommee im Team: Sieberg verantwortete in der Türkei nach drei sieglosen Monaten den ersten Saisonerfolg für DSM.

Im Jahr 2021 kam Marcel Sieberg für Bahrain Victorious vor allem im Frühjahr nur noch sporadisch zum Einsatz. Danach beschloss er, seine lange Karriere zu beenden. | Foto: Cor Vos

Im vergangenen Winter tauschte er sein Rad gegen den Platz im Teamauto. 17 Jahre war er zuvor Profi gewesen, Ende 2021 dann zog er einen Schlussstrich unter seine Laufbahn. "Nicht, weil ich keine Lust mehr hatte, sondern weil ich keine Rennen mehr bekommen habe. Dabei war ich fit und nicht verletzt. Nur zu trainieren, ohne Rennen zu fahren, das war nicht mehr die Erfüllung“, sagt Sieberg.

Gerade einmal sieben Renntage bekam er bei Bahrain Victorious bis Ende April des Vorjahres. Bereits in die Wintervorbereitung war er mit dem Gedanken gegangen, dass 2021 womöglich seine letzte Saison wird. Daher informierte er Ende April dann die Teamleitung, dass er am Jahresende aufhöre. Er wollte selbst bestimmen, wann die Profizeit vorbei ist.

"Wir sind für die ganze Logistik zuständig“

Fast zeitgleich traf er sich erstmals mit DSM-Sportdirektor Rudi Kemna am Sitz des Teams im niederländischen Deventer, um über ein mögliches Engagement als Sportlicher Leiter zu sprechen. Der Kontakt kam über Siebergs Manager Christian Baumer zustande, in seiner aktiven Zeit hatte Sieberg keine Berührungspunkte zum Team.

"Christian hat mir erzählt, dass Rudi Kemna ihm immer gesagt habe, ich solle mich mal melden, wenn ich aufhöre“, sagt Sieberg und fügt an: "Mir ging es erst einmal darum, Fuß zu fassen und überhaupt im Sport zu bleiben. Außerdem kannte ich Rudi bereits länger, da wir schon gegeneinander gefahren sind. Ich habe mir dann gesagt: Warum nicht? Ich wollte es einfach ausprobieren und dachte mir, wenn ich es mache, dann sofort und nicht nach drei Jahren Pause.“

Von DSM hieß es allerdings direkt: Das wird keine leichte Aufgabe werden. "Da wurde mir bereits gesagt, dass es ein paar Jahre dauern wird, um ein guter Sportlicher Leiter zu werden“, sagt Sieberg, der gemeinsam mit Roy Curvers vor allem die Sprinter im Team betreut. Es gehe um Dinge, bei denen er jetzt erst mitbekomme, was alles im Hintergrund bei einem Team ablaufe.

"Als Fahrer denkt man: Der Sportliche Leiter hält paar Meetings ab und fährt ein bisschen im Auto hinterher. Aber was da für Arbeit hinter steht, dass können die Fahrer sich kaum vorstellen“, sagt Sieberg. Seine neuen täglichen Kollegen heißen Word, Excel sowie Powerpoint. "Damit habe ich vorher nie gearbeitet“, sagt Sieberg. Dazu Tagespläne sowie Flugoptionen. Und Meetings: morgens, abends, zwischendurch.

Sieberg organisiert auch die Anreise zu den Rennen

Ein Auszug aus seinem neuen Arbeitsleben bei der Türkei-Rundfahrt: Frühstück mit den Betreuern, dann ein Meeting mit den Pflegern, um zu klären, wer wo in welchen Verpflegungszonen steht. Auch das gehört zu Siebergs Aufgaben. Im Anschluss ein Blick aufs Wetter, Checkout aus dem Hotel, Gespräche mit den Fahrern und Abfahrt zum Rennen. Dann folgt der klassische Teil im Teamauto während der Etappe, bevor im Bus auf dem Rückweg zum Hotel bereits der nächste Tag geplant werden muss: Wann gibt es Frühstück, wann ist Abfahrt, wie kommt jeder abends wieder zum Hotel? "Wir sind halt für die ganze Logistik zuständig“, sagt Sieberg.

Als Sam Welsford bei der Türkei-Rundfahrt für den ersten Saisonsieg von DSM sorgte, saß Sieberg im Begleitfahrzeug. | Foto: Cor Vos

Abends geht es weiter mit der Planung des Abendessens, Gesprächen mit den Mechanikern sowie Meetings mit den Betreuern sowie den Fahrern, um die aktuelle und die folgende Etappe hinsichtlich der Strecke und Taktik zu besprechen. Dann ist irgendwann Feierabend. "Es sind lange Tage“, sagt Sieberg. Bei der Türkei-Rundfahrt war er gemeinsam mit Kemna, der ihm als Kontaktperson im Team dient. "Wenn man zu zweit ist, teilt man sich immerhin die Aufgaben“, sagt Sieberg.

Nach welcher Tätigkeit er abends mehr erschöpft ist – Radprofi oder Sportlicher Leiter? "Aktuell noch als Sportlicher Leiter. Man ist den ganzen Tag beschäftigt. Als Fahrer hat man gerade morgens teilweise sehr viel freie Zeit“, sagt Sieberg, der zugibt, momentan für viele Dinge noch etwas länger zu brauchen als die Kollegen. Beispielsweise ist es auch seine Aufgabe, die Anreise zu den Rennen zu organisieren. "Das gehört für mich bei jedem Rennen dazu. Das mache ich im Moment relativ häufig, damit ich das lerne. Als ich das erste Mal 30 Flüge vor mich hatte – da habe ich gedacht: Was ist das denn? Da habe ich nachts von Flügen geträumt“, sagt Sieberg lachend. Inzwischen laufe es aber immer besser.

Im Autokonvoi muss man ebenfalls seine Position verteidigen

Medial wird oft die Arbeitsweise des Teams thematisiert, die als strikt und vorschriftenlastig gilt – und in den vergangenen Jahren ein Grund war, weshalb einige Fahrer vor Vertragsende die Mannschaft verließen. "Es ist halt alles strukturiert“, sagt Sieberg. "Ich habe damit aber kein Problem. Struktur ist besser, als wenn keiner weiß, wer was macht. Man muss sich dran gewöhnen und wissen, wie es abläuft.“

Bei DSM müssen die Fahrer vergleichsweise viel selbst vorbereiten, sagt Sieberg, beispielsweise was Streckenkenntnisse angeht. Das sei in seinen früheren Teams nicht so gewesen. Rückblickend hätte er sich gewünscht,zu seiner aktiven Zeit mehr von den Sportlichen Leitern eingebunden zu werden. "Deswegen habe ich mir gesagt, wenn ich selbst Sportlicher Leiter bin, werde ich das anders machen und mehr auf die Fahrer eingehen und mehr Kontakt haben.“

Vor der Türkei-Rundfahrt war Sieberg bereits bei der Valencia-Rundfahrt, der UAE Tour, Tirreno-Adriatico und beim Scheldeprijs im Einsatz. Bei seiner Premiere in Valencia steckte ihn DSM auf Anhieb als Hauptverantwortlichen ins erste Teamauto. "Das war quasi gleich: Feuer frei und ins kalte Wasser geschmissen“, sagt Sieberg. Mit taktischen Anweisungen im Rennen hat der 39-Jährige aufgrund seiner früheren Aufgabe als Road Captain derweil keine Probleme. "Da hat sich nicht so viel geändert."

Grand-Tour-Debüt beim Giro d‘Italia

Anders sieht es hingegen mit seinem neuen Fortbewegungsmittel aus: dem Auto. "Bei der Valencia-Rundfahrt war ich schon etwas nervös. Man muss überall seine Augen haben, die Radprofis überholen ja nicht nur links, sondern auch rechts. Das ist ein wenig wie eine Rallye hinter dem Fahrerfeld. Da muss man schon Autofahren können“, sagt Sieberg. Denn die anderen Sportlichen Leiter hätten ihn als Neuling, so hatte er das Gefühl, in Valencia auch etwas testen wollen. "Die wussten: Der ist neu, den überholen wir jetzt mal. Aber wenn ich jeden vorbeifahren lasse, dann ist das wie im Rennen – wenn du einmal den Ellenbogen nicht ausfährst, dann machen die das immer wieder.“ Im Autokonvoi muss man ebenfalls seine Position verteidigen. 

Marcel Sieberg (mit Maske) im Trainingslager seines neuen Teams DSM. | Foto: Patrik Brunt

Eine offizielle Lizenz als Sportlicher Leiter hat Sieberg allerdings noch nicht. Beim entsprechenden Kurs im vergangenen Winter fehlte er kurzfristig aufgrund einer Corona-Infektion. Er ist dieses Jahr mit einer Ausnahmegenehmigung der UCI unterwegs.

Derzeit hat Sieberg eine kleine Pause vom Rennbetrieb, dafür laufen die Planungen für die anstehenden Einsätze auf Hochtouren. Denn im Mai ist er auf Anhieb als Sportlicher Leiter bei einer Grand Tour dabei, dem Giro d’Italia. "Der Giro stand von Anfang an in meinem Programm. Man ist fast einen ganzen Monat unterwegs, dazu der große Betreuerstab, der dazu gehört. Das wir schon aufregend.“ Im Anschluss steht für Sieberg nach dem straffen Frühjahrsprogramm dann eine Pause an. Denn viele freie Tage hatte er als Berufsanfänger bislang noch nicht.

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