Contador vs. Delgado

Der Pistolero auf Pericos Spuren

Von Guido Scholl

Foto zu dem Text "Der Pistolero auf Pericos Spuren"
Alberto Contador (Trek-Segafredo) | Foto: Cor Vos

10.09.2017  |  (rsn) - Alberto Contador hat mit seinem tollen Sieg am Angliru eine glanzvolle Radsport-Karriere vollendet. Aber eines ist ihm nicht gelungen: Seine letzte Vuelta a Espana auf dem Podium zu beenden. Ein anderer Spanier hatte da mehr Glück. Nach reichlich Pech zuvor.

1994 beendete Pedro Delgado seine Radsport-Laufbahn. Wie Contador 23 Jahre später wählte „Perico“ seine Heimatrundfahrt aus, um Adios zu sagen. Zwar wurde die Vuelta damals noch im Frühjahr ausgetragen, also im ersten Drittel der Saison – dennoch hatte Delgado angekündigt: „Dies wird mein letztes Profirennen.“ Seine Ziele waren ein Etappensieg und ein möglichst gutes Resultat in der Gesamtwertung. Schließlich war Delgado 1993 noch einmal Sechster der Vuelta und Neunter der Tour de France geworden.

Außerdem war Delgado nicht irgendwer. Der Spanier hatte 1988 die Tour gewonnen und 1985 und 1989 die Vuelta. Vier Podestplätze bei seiner Heimatrundfahrt und drei bei der Tour standen Ende 1993 zu Buche. Mehr noch: Delgado ist bis heute der Fahrer im modernen Radsport mit den meisten Top-Ten-Platzierungen bei Grand Tours – sagenhafte 17-mal hatte er bis 1993 eine Dreiwochenrundfahrt unter den ersten Zehn beendet. Dass er 1994 bei der Vuelta Top-10-Platz Nummer 18 hinzufügen würde, kristallisierte sich in den Bergen heraus.

Vor dem letzten Zeitfahren über 53 Kilometer lag Delgado sogar auf Kurs Podest-Platz Nummer acht: Er hatte auf Platz drei der Gesamtwertung 7:08 Minuten Rückstand zum dominierenden Tony Rominger. Vor ihm lag sein junger Teamkollege Mikel Zarrabeitia (+5:15).

Der Pferdefuß: Mit einer Attacke zwei Tage zuvor hatte der Vorjahreszweite Alex Zülle seinen Rückstand zu Delgado auf 24 Sekunden reduziert. Und der Schweizer galt als besserer Zeitfahrer, hatte 1993 gleich drei Prüfungen gegen die Uhr bei der Vuelta gewonnen und auch im ersten, 39 Kilometer langen Zeitfahren der Spanienrundfahrt 1994, vor Delgado gelegen. Der musste nun seinen knappen Vorsprung über eine 14 Kilometer längere Strecke verteidigen.

Doch Delgado hatte am Ende einer Karriere, die trotz all seiner Erfolge von vielen Unbilden geprägt war, einen späten Pakt mit Glücksgöttin Fortuna geschlossen. Der Spanier, der vor allem in jungen Jahren, mit Stirnband fahrend, ein wenig an Kino-Boxheld Rocky Balboa erinnerte, fiel während seiner Triumph-Tour 1988 mit einem positiven Dopingtest auf, was seinem Gesamtsieg einen Makel verlieh. Ein Jahr zuvor war er schon nah dran am Toursieg gewesen, doch Stephen Roche, der sich auf dem Weg nach La Plagne fast bis ins Koma fuhr, schaffte damit ein Comeback, das ihm schließlich zum Toursieg verhalf. 1989 kam Delgado fast drei Minuten zu spät zum Tour-Prolog und war fortan hoffnungslos in der Defensive, wurde immerhin Dritter, 3:34 Minuten zurück. 1986 erfuhr er während der Etappe nach Alpe d'Huez vom Tod seiner Mutter und gab das Rennen auf.

1991 zog sein Teamgefährte Miguel Indurain an ihm vorbei und wurde zum größten spanischen Radsportler aller Zeiten. Die Iberer vergaßen aber nie, was sie an „Perico“ hatten, der immer Angriff und mit viel Herz fuhr. Während sie Indurain in Spanien verehrten, wurde Delgado geliebt. Und so drückte die gesamte Radsportnation ihrem alten Helden die Daumen, dass er in seinem letzten großen Kampf 1994 Alex Zülle auf Distanz würde halten können.

Ob der eine oder andere Heißsporn jubelte, als Zülle bereits auf den ersten Kilometern des Zeitfahrens einen Defekt hatte? Solcher Jubel wäre demjenigen ohnehin schon bei Rennkilometer zehn im Hals erstickt, denn Zülle hatte dort trotz Panne dieselbe Zeit wie Delgado. Bei Kilometer 20 war der Schweizer auf Podestkurs – noch vor Halbzeit des Rennens.

Doch das Sportlerschicksal war an jenem 14. Mai noch nicht fertig mit dem Schweizer. Sage und schreibe drei weitere Defekte ereilten Zülle der die Vuelta 1996 und 1997 gewinnen sollte. Hatte er nach Panne Nummer eins noch ein Ersatz-Zeitfahrrad bekommen, musste er die letzten gut zehn Kilometer des Kampfs gegen die Uhr auf einem normalen Straßenrad mit Triathlon-Aufsatz beenden.

Da Delgado selbst kein schlechter Zeitfahrer war, konnte Zülle die Sache da schon abhaken. Er verlor mehr als eine Minute auf seinen Kontrahenten, der schlussendlich souverän wirkende 1:26 Minuten Vorsprung auf den Schweizer aufwies und seine letzte Rundfahrt an Position drei beendete. Spanien war in Jubelstimmung – welch ein herrlicher Abschied des Publikumslieblings, der nach 13 erfolgreichen Profijahren zufrieden zurücktreten konnte.

Auch wenn Contador das Podest nun verpasst hat – sein Etappensieg ausgerechnet am Alto de l'Angliru hat denselben Stellenwert. Denn ein Tagessieg war Delgado in seiner Abschieds-Vuelta verwehrt geblieben. Die Parallelen beider Fahrer sind ohnedies verblüffend. Contador kommt immerhin auf 14 Top-Ten-Resultate in seiner Laufbahn, zählt man die drei Doping-Streichergebnisse der Jahre 2010 und 2011 mit. Wie „Perico“ hat der „Pistolero“ keine weiße Weste in Sachen unerlaubte Leistungssteigerung.

Beide waren gefürchtete Kletterer, konnten sich im Zeitfahren aber dennoch behaupten. Und beide liebten die Abteilung Attacke. Contador wiegt in Wettkampfform 62 Kilogramm, bei Delgado waren es 64. Während Delgado 13 Jahre lang Profi war, kommt Contador auf deren 14. Und auch in Sachen Unbilden kann es Contador durchaus mit seinem Landsmann aufnehmen, so oft wie er stürzte und mit schwierigen Zeitgenossen in Konflikt kam: von A wie Armstrong bis T wie Tinkoff. Dann wäre da noch seine Hirn-Operation im Jahr 2004 wegen eines Kavernoms.

Die Gesamtsituation, in der Contador abtritt, könnte aber unterschiedlicher kaum sei von jener des Delgado-Rücktritts. Damals war Spanien die dominierende Nation im Radsport. Indurain hatte dreimal die Tour gewonnen, Abraham Olano galt als Zukunftshoffnung im Zeitfahren, José Maria Jimenez und Roberto Heras waren die kommenden Bergkönige. Zarrabeitia war gerade Zweiter der Vuelta geworden, Melchior Mauri immer noch auf der Mission, seinen Vuelta-Sieg von 1991 zu bestätigen. Und dann waren da noch Asse wie Fernando Escartin, Jesus Montoya und Luis Perez.

Nach Contadors Abschied verfügt Spanien aktuell – trotz einer Fülle an durchaus starken Fahrern – nur noch über einen Radprofi, der realistische Chancen auf ein Grand-Tour-Podium hat. Und das ist der 37-jährige Alejandro Valverde, der erst zeigen muss, ob er nach seinem Kniescheibenbruch noch einmal in solche Bereiche vorstoßen kann. Profis wie David de la Cruz, Enric Mas und Jaime Roson haben Potenzial, müssen aber zulegen, um die spanischen Ansprüche zu befriedigen.

Und die sind hoch. Schauen wir nur ein paar Jahre zurück: 2010 landeten mit Contador, Samuel Sanchez, Joaquin Rodriguez und Luis Leon Sanchez vier Spanier in den Top Ten der Tour. Selbst nach der Ära Indurain/Delgado gewannen mit Contador, Carlos Sastre und Oscar Pereiro drei Iberer die Tour, der Pistolero war – je nach Zählart – zwei beziehungsweise dreimal erfolgreich. Außerdem holte Contador zwei Giro- und drei Vuelta-Siege. Die Vuelta endete von 1998 bis 2014 elfmal mit einem spanischen Gesamterfolg. Die Sieger hießen Olano, Roberto Heras, Angel Casero, Aitor Gonzalez, Contador, Valverde und Juan Jose Cobo.

Hinzu kamen die Klassikererfolge von Valverde und Oscar Freire sowie deren WM-Medaillen. Sanchez holte überdies Olympia-Gold im Jahr 2008. So wird es in den nächsten fünf bis zehn Jahren sicher nicht weitergehen. Möglicherweise erlebt Spanien nun eine ähnlich triste Phase wie Frankreich nach dem Abschied von Laurent Jalabert und Richard Virenque, wo Etappensiege und Gesamtränge hinter Platz fünf bei den Grand Tours ausreichen müssen. Aber eines scheint gewiss: Die Radsportbegeisterung wird auf der iberischen Halbinsel ebenso wenig verschwinden wie seinerzeit in Frankreich.

Contador sagte oben am Angliru im nasskalten Nieselwetter er wollte mit seiner Fahrweise in dieser Vuelta den Geist des Attackierens weiter tragen und möglichst die jungen Profis dahingehend beeinflussen: Angreifen, nicht aufs Wattmeter schauen. Jede Wette, dass der nächste spanische Radsportheld kein Display-Gucker wird.

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