Brand: “Sie haben sich alle nur angeschaut“

Kaum Kampf um Medaillen in taktisch blockiertem Frauenrennen

Von Felix Mattis aus Innsbruck

Foto zu dem Text "Kaum Kampf um Medaillen in taktisch blockiertem Frauenrennen"
Die Favoritinnengruppe im Olympia Climb zur Bobbahn von Igls. | Foto: Cor Vos

30.09.2018  |  (rsn) - Anna van der Breggen war klar die Stärkste. Die 28-Jährige gewann das WM-Straßenrennen von Innsbruck mit ihrem Solo auf den letzten knapp 40 Kilometern derart eindrucksvoll, dass daran wohl niemand zweifeln konnte. Die Niederländerin wäre wohl auch dann Weltmeisterin geworden, wenn die Konkurrenz nach ihrem Angriff nicht das Rennfahren verweigert hätte. Denn wie sich die Favoritengruppe hinter den Ausreißerinnen van der Breggen, Amanda Spratt, Emilia Fahlin, Malgorzata Jasinska und Coryn Rivera verhielt, war schwer zu verstehen.

Kaum hatte sich van der Breggen abgesetzt, schlief im Feld das Tempo ein, man schaute sich an, anstatt die Olympiasiegerin und die anderen Ausreißerinnen zu jagen. "Ich war ziemlich überrascht, dass sich überhaupt keine Verfolgung organisierte", sagte Lucinda Brand nach dem Rennen zu radsport-news.com über die zweite Hälfte des zweiten Anstiegs zur Olympia-Bobbahn von Igls am Patscherkofel.

Die Gruppe fuhr den Berg in gleichmäßigem Tempo breit gefächert hinauf,  niemand wollte Verantwortung übernehmen. "Die Australierinnen waren froh über die Medaille, das ist ja okay. Aber Amerika, Kanada, die einzelnen Fahrerinnen anderer Teams - ich weiß auch nicht, was sie dachten", sagte Brand und vermutete:. "Vielleicht hatten sie Angst vor dem letzten Berg."

Ohne Funkverbindung zu den Teamfahrzeugen waren die Abstände zu den enteilten Fahrerinnen schwer einzuschätzen, und tatsächlich hatten die meisten Mitfavoritinnen Teamkolleginnen vorne. Die USA hoffte auf Coryn Rivera, die Italienerinnen um Elisa Longo Borghini und die spätere Bronze-Medaillengewinnerin Tatiana Guderzo beriefen sich auf die Anwesenheit von Elena Pirrone an der Spitze und Polens Katarzyna Niewiadoma auf ihre Landsfrau Malgorzata Jasinska: "Weil meine Teamkollegin vorne und in guter Form war, wollte ich ihr nicht hinterherfahren", sagte Niewiadoma. "Es war nicht meine Aufgabe, da nachzuführen."

Es war die Aufgabe von niemandem und allen - zumindest von jeder Fahrerin in der Gruppe, die eine Medaille wollte. Doch anstatt dass jemand für Tempo sorgte, blieb es bis zum Gipfel ruhig. Man fuhr mit breiter erster Reihe, was immer für nicht allzu hohes Tempo spricht. "Es wurde nicht viel geredet, sondern sich nur gegenseitig angeschaut", schilderte Brand die Situation in der Gruppe. "Das passiert oft bei Weltmeisterschaften, und meistens schauen sie dann auf uns." Doch die Niederländerinnen hatten ihr Wunschszenario ja gerade kreiert: van der Breggen allein an der Spitze, mit wachsendem Abstand auf alle Verfolgerinnen. Von 'Oranje' war keine Tempoarbeit zu erwarten.  

Nach der Abfahrt versuchte Niewiadoma es wenigstens ein Mal in der Höttinger Gasse unten am Inn. Doch die Polin hatte damit kein Glück, und als die Konkurrenz ihr Hinterrad wieder erreicht hatte, schlief das Tempo erneut ein. Den Kampf um Bronze nahmen nun nur noch Karol-Ann Canuel, Amy Pieters und Guderzo auf, die sich zu dritt absetzten und bald zu Emilia Fahlin sowie Jasinska und Rivera vorfuhren.

Letztere war immer noch als Hoffnungsträgerin der US-Amerikanerinnen unterwegs. Obwohl sie am längsten vorne war und zwischen Klettererinnen wie Guderzo, Jasinska und Canuel zunehmend schwächer aussah, diente Rivera weiter als Ausrede für das US-Team um Ruth Winder, Megan Guarnier und Katie Hall, in der großen Favoritinnengruppe nicht konsequent nachführen zu müssen - mit der Konsequenz, dass am Ende nicht mehr als Rang zehn durch Winder herauskam, nachdem Rivera schließlich doch noch zurückgefallen war.

Die US-Amerikanerinnen, Niewiadoma, die Däninnen, die Spanierinnen, Ashleigh Moolman-Pasio, Jolanda Neff - sie alle kämpften zu lange nicht aktiv um eine Medaille, weil sie sich auf eine ausgerissene Teamkollegin beriefen oder einfach Angst hatten, dadurch der Konkurrenz zu helfen und selbst zu platzen. Dass die Kolleginnen an der Spitze aber müde werden würden und man ohne Initiative mit leeren Händen dastehen würde, das schienen sie alle zu verdrängen. 

Vielleicht fehlte da auch der Funk? "Vielleicht, ja, weil man mit Funk eher weiß, wie sich die Anderen fühlen. Die USA hat darauf gesetzt, dass Coryn ja vorne ist und am Ende gut sprinten kann. Aber das war natürlich Gezocke", erklärte Brand.

Bei der dritten und letzten Passage des Olympia Climbs kam es, unbeachtet von der Regie des Weltbildes fürs TV, endlich doch noch zu einigen Angriffen aus der großen Gruppe heraus durch Fahrerinnen wie Moolman-Pasio, Neff oder auch Guarnier. Keine kam weg, bis auf van Vleuten, die sich so letztlich Platz sieben sicherte. Und allesamt attackierten zu spät, um noch eine Medaillenchance zu haben. 

Am Ende konnten die Niederländerinnen, Australierinnen und Italienerinnen mit ihrem Edelmetall gut leben, und auch die sprintstarke Schwedin Emilia Fahlin war mit Platz vier angesichts des schweren Kurses überglücklich. Doch alle anderen Teams mussten sich fragen lassen, ob man den Kampf ums Podium nicht doch etwas aktiver hätte bestreiten sollen, anstatt der Konkurrenz so viel Vorsprung zu gewähren.

Das hätte auch dem Sport gut getan. Denn nachdem es in den vergangenen Jahren oft als spannendster Wettkampf der Weltmeisterschaften gefeiert wurde, wurde das durch die Konstellation der Ausreißergruppen taktisch blockierte Frauenrennen in Innsbruck zum für die meisten Zuschauer unattraktivsten Titelkampf.

Mehr Informationen zu diesem Thema

11.05.2024Bredewold verteidigt Gelb mit Stil und holt zweiten Itzulia-Sieg

(rsn) – Mischa Bredewold (SD Worx – Protime) hat ihr auf der 1. Etappe erobertes Führungstrikot am zweiten Tag der Itzulia Women (2.WWT) nicht nur verteidigt, sondern sich nach 104 Kilometern vor

10.05.2024Bredewold baut makellose Itzulia-Serie von SD Worx aus

(rsn) – Mischa Bredewold hat ihrem Team SD Worx – Protime einen grandiosen Auftakt zur 3. Itzulia Women (2.WWT) beschert. Die Europameisterin aus den Niederländerin entschied die 1. Etappe über

09.05.2024Ludwig: “Dachte so oft, dass ich nie einen Profisieg hole“

(rsn) – Hannah Ludwig hat geschafft, woran sie selbst nicht geglaubt hat. Die 24-Jährige aus Traben-Trarbach machte am Mittwoch den Tag für ihr Team Cofidis perfekt. Nachdem kurz zuvor Benjamin Th

08.05.202424,5-Kilometer-Solo! Ludwig feiert ersten Profisieg

(rsn) – Je länger die Wartezeit, desto explosiver die Freude am großen Jubeltag: Fast zeitgleich mit dem Sieg von Teamkollege Benjamin Thomas auf der 5. Etappe des Giro d´Italia in Lucca, dem ers

07.05.2024Ab 2025 auch ein Frauenrennen Mailand-Sanremo?

(rsn) - Nach der Flandern-Rundfahrt, Paris-Roubaix und Lüttich-Bastogne-Lüttich wird mit Mailand-Sanremo auch das vierte der fünfte Monumente künftig wohl auch mit einem Frauenrennen aufwarten kö

06.05.2024Bauernfeind beendet Vuelta besser als erwartet

(rsn) – Wer weiß, was alles möglich gewesen wäre. Wenn Ricarda Bauernfeind nicht zu Beginn der Vuelta Feminina (2.WWT) etwas gekränkelt hätte. Und wenn sie von Beginn an als Kapitänin von Cany

05.05.2024Vollering nutzt Rückenwind-Passage zum Vuelta-Triumph

(rsn) – Mit einem weiteren überragenden Auftritt hat Demi Vollering (SD Worx – Protime) die 10. Vuelta Femenina (2.UWT) souverän für sich entschieden. Die 27-jährige Niederländerin schüttelt

04.05.2024Rund 260.000 Euro fehlen: Tour of Scandinavia abgesagt

(rsn) – Die Women´s WorldTour-Rundfahrt Tour of Scandinavia wird in diesem Jahr nicht stattfinden. Das gaben die Veranstalter des für 27. August bis 1. September geplanten Rennens am Freitag via P

04.05.2024Alfonsina Strada: Die erste Frau beim Giro

(rsn) – Wenn am Samstag in Venaria Reale der 107. Giro d´Italia der Männer beginnt, ist das auch für den Frauen-Radsport ein wichtiger Termin. Denn noch bevor im Juli der nächste Giro der Frauen

01.05.2024Faulkner landet als Ausreißerin Coup in Zaragoza

(rsn) – Kristen Faulkner hat bei der 10. Vuelta Femenina für den zweiten Sieg einer Fahrerin von EF Education – Cannondale gesorgt. Nachdem ihre Teamkollegin Alison Jackson die 2. Etappe für si

30.04.2024Highlight-Video der 3. Etappe der Vuelta Femenina

(rsn) – Marianne Vos (Visma – Lease a Bike) hat die 3. Etappe der Vuelta Espana Feminina (2.UWT) für sich entschieden. Die 36-jährige Niederländerin verwies nach 1302 Kilometern zwischen Lucen

30.04.2024Vos feiert Sprintsieg in Teruel

(rsn) – Die Gewinnerin der 3. Etappe der Vuelta Espana Feminina by Carrefour.es ist Marianne Vos (Visma – Lease a Bike). Die Niederländerin sicherte sich den Tageserfolg nach 130,2 Kilometern in

Weitere Radsportnachrichten

11.05.2024Martinez hatte den Sieg vor Augen, bis Pogacar antrat

(rsn) – Mit dem Tagessieg bei der Apennin-Bergankunft in Prati di Tivo hat es für Bora – hansgrohe auf der 8. Etappe des Giro d´Italia nicht geklappt. Überflieger Tadej Pogacar (UAE Team Emirat

11.05.2024Thomas “überrascht, dass andere abgehängt wurden“

(rsn) – Zwei Minuten Zeitverlust auf Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) im Einzelzeitfahren am Freitag: Die Aussichten für Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) vor der zweiten Bergankunft des 107. Giro

11.05.2024Großschartner: “Der Etappensieg war eigentlich nicht unser Ziel“

(rsn) – Das Finale der 8. Etappe des Giro d’Italia (2.UWT) ging Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) eher gemächlich an. Statt einer frühen Attacke verließ sich der Slowene auf seine SprintqualitÃ

11.05.2024Pogacar holt Etappensieg Nr. 3, diesmal im Sprint am Berg

(rsn) – Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) hat einen Tag nach seinem zweiten Etappensieg beim 107. Giro d’Italia gleich den dritten nachgelegt. Auf der 8. Etappe von Spoleto zur Bergankunft von Pra

11.05.2024Nys lässt Hirschi und Co. im Bergaufsprint keine Chance

(rsn) – Thibau Nys (Lidl – Trek) hat bei der Ungarn-Rundfahrt seinen zweiten Etappensieg in Folge gefeiert. 24 Stunden nachdem der 21-jährige Belgier an der Bergankunft von Gyöngyös-Kékestö d

11.05.2024Amador bei schwerem Trainingsunfall mit Glück im Unglück

(rsn) – Andrey Amador (EF Education – EasyPost) ist bei einem schweren Trainingsunfall vor den Toren von Barcelona am Donnerstag den Umständen entsprechend glimpflich davongekommen. Der Costa Ric

11.05.2024Heidemann fällt mit Ellenbogenbruch für unbestimmte Zeit aus

(rsn) – Ein schwerer Sturz bei der Famenne Classic (1.1) Ende April in Belgien hat den Höhenflug von Miguel Heidemann (Felt – Felbermayr) gestoppt. Der Darmstädter, der bei allen vier Rundfahrt

11.05.2024Bredewold verteidigt Gelb mit Stil und holt zweiten Itzulia-Sieg

(rsn) – Mischa Bredewold (SD Worx – Protime) hat ihr auf der 1. Etappe erobertes Führungstrikot am zweiten Tag der Itzulia Women (2.WWT) nicht nur verteidigt, sondern sich nach 104 Kilometern vor

11.05.2024Laporte gibt den Giro d´Italia vor 8. Etappe auf

(rsn) – Christophe Laporte (Visma – Lease a Bike) wird am Samstag nicht mehr zur 8. Etappe des Giro d´Italia antreten. Wie sein niederländisches Team mitteilte, hat sich der Franzose nach seinem

11.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 8. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

10.05.2024Fällt der Stelvio beim Giro dem Schnee zum Opfer?

(rsn) – Die Überfahrt über das Stilfser Joch zu Beginn der 16. Etappe des Giro d´Italia am 21. Mai wackelt gewaltig. Das legt die italienische Nachrichtenagentur ANSA nahe, derzufolge es die aktu

10.05.2024Kette bremste O´Connor im Kampf gegen die Uhr aus

(rsn) – Platz elf im ersten Einzelzeitfahren des 107. Giro d´Italia: Auf dem Papier sah das für Kletterspezialist Ben O´Connor (Decathlon – AG2R) am Freitag zwischen Foligno und Perugia gar nic

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)
  • Radrennen Männer

  • Tour de Hongrie (2.Pro, HUN)