Mein Radsport-Ereignis 2015

Bayern Rundfahrt: Familienbetrieb mit Herz und Verstand

Von Matthias Seng

Foto zu dem Text "Bayern Rundfahrt: Familienbetrieb mit Herz und Verstand"
Alex Dowsett (Movistar) gewann 2015 die vorerst letzte Ausgabe der Bayern Rundfahrt. | Foto: Bayern-Rundfahrt

21.12.2015  |  (rsn) – Die Bayern-Rundfahrt 2015 war die beste aller bisherigen 36 Austragungen, wie Ewald Strohmeier nicht ohne Grund sagte. Wer den Chef des einzigen deutschen Mehretappenrennens kennt, der weiß, dass er nicht gerade zu den Leuten gehört, die mit Superlativen um sich werfen. Tatsächlich konnte Strohmeier mit „seiner“ Bayern Rundfahrt rundum zufrieden sein, wartete sie doch mit einer erstklassigen Besetzung, einer attraktiven Streckenführung, viel Publikum und einem bis auf die letzten Kilometer spannenden Rennverlauf auf.

Für jeden war etwas dabei: Die deutschen Fans konnten zwei Etappensiege von John Degenkolb bejubeln, für ebenso viele sorgte der Ire Sam Bennett, Sprintkapitän des heimischen Bora-Argon 18 Teams. Das Zeitfahren entschied der Brite Alex Dowsett vom spanischen Movistar für sich. Der ehemalige Stundenweltrekordler hatte auch in der Endabrechnung die Nase vorn, und zwar um gerade mal zwei Sekunden gegenüber dem Portugiesen Tiago Machado (Katusha).

Doch den fünf sonnigen Tagen im fränkischen Frühling folgte die herbstliche Tristesse mit dem vorweihnachtlichen Schrecken: 2016 wird es keine Bayern Rundfahrt geben. Nachdem die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken nach 36 Jahren gedeihlicher Zusammenarbeit für das Saisonende das Ende ihres Engagements angekündigt hatten, blieben Strohmeier und sein Team – das fast ausschließlich aus Ehrenamtlichen besteht (!) – auf der Suche nach einem ebenso zuverlässigen Nachfolger erfolglos.

Es spricht für den Gründer und Chef der Bayern Rundfahrt, dass er frühzeitig eine Entscheidung traf und nicht bis auf den letzten Drücker verzweifelt versuchte, die 37. Auflage seines Rennens, das er 1980 aus der Taufe gehoben hatte, doch noch auf die Beine zu stellen. Strohmeier ist ein Freund des klaren Wortes und besiegelte Abmachungen auch schon mal per Handschlag. Verlassen kann man sich darauf immer. Deshalb lag ihm viel daran, auch gegenüber den Teams und den Etappenstädten frühzeitig für Klarheit zu sorgen.

Diese Klarheit besteht nun und auch wenn die Bayern Rundfahrt 2017 wiederauferstehen sollte, so bildet der 21. Dezember eine Zäsur in der Geschichte des Rennens, das sich über Jahrzehnte hin durch seine einzigartige Charakteristik auszeichnete: Es war familiär, klein, überschaubar, aber eben auch so professionell organisiert, dass es den Vergleich mit größeren Rundfahrten nicht zu scheuen brauchte. Die Profis – oder „Radlfahrer“, wie Strohmeier sie fast schon liebevoll nannte -, die einmal in den Freistaat kamen, kehrten immer wieder gern zurück, weil hier alles passte: die Qualität der Straßen, die Etappenprofile, die Unterkünfte, (fast immer) das Wetter. Und auch der Weltverband UCI ließ sich von dieser Mischung beeindrucken und verteilte in seiner obligatorischen Beurteilung regelmäßig Bestnoten.

Bradley Wiggins etwa äußerte nach seinem Sieg im Zeitfahren der Ausgabe von 2011 in Friedberg im Hintergrundgespräch mit den Journalisten seinen großen Wunsch, im darauf folgenden Jahr lieber die Bayern-Rundfahrt als den Giro d’Italia zu bestreiten. Sein Landsmann Alex Dowsett, der im Mai die bisher letzte Ausgabe der Bayern Rundfahrt gewann, schwärmte im Gespräch mit radsport-news.com von den fränkischen Regionen, durch die das Rennen diesmal führte: „Ich liebe es hier, es ist so schön, das Rennen ist großartig, das Wetter ist prima. Ich genieße es hier wirklich“, sagte der ehemalige Stundenweltrekordler.“

Obwohl – oder gerade weil - die Bayern Rundfahrt im Terminkalender nicht nur mit dem Giro d’Italia, sondern auch noch mit ähnlich großen Rennen wie der Tour of California und der Belgien-Rundfahrt konkurrierte, konnte sie ihre Anziehungskraft nicht nur auf deutsche Profis behaupten. Die freuten sich natürlich jedes Jahr auf ihr Heimspiel und darauf, nicht nur für ein Eintagesrennen in Deutschland Station machen zu können. Dass der letzte deutsche Sieg durch Linus Gerdemann bereits sechs Jahre zurückliegt, zeugt weniger von der Schwäche der hiesigen Profis, sondern vielmehr von der Stärke der internationalen Konkurrenz. Auch das durfte als ein Gütesiegel der Bayern Rundfahrt gewertet werden.

Doch die Globalisierung des Radsports machte auch vor dem „Familienbetrieb“ Bayern Rundfahrt nicht halt. Strohmeier war durchaus bereit, mit der Zeit zu gehen und dem Rennen einen professionelleren Anstrich – etwa durch die Schaffung hauptamtlicher Stellen oder das Bemühen um eine eigene TV-Produktion – zu verpassen. Auch die Bewerbung für einen Platz in der WorldTour-Serie war bereits fest ins Auge gefasst. Sogar der Verkauf des Rennens an einen - internationalen – Investor nannte Strohmeier gegenüber radsport-news.com als eine Option. Doch die nun fehlenden 300.000 Euro machen zunächst einmal alle Pläne zunichte. Und durch die Absage bleibt Strohmeier wohl keine Möglichkeit, sich für die für 2017 vorgesehene neue WorldTour zu bewerben.

Wie auch immer es kommen mag: Die Bayern Rundfahrt 2015 bildete das unerwartete (vorläufige) Ende einer Erfolgsgeschichte und ist deshalb für mich das Radsport-Ereignis des Jahres. Sollte das Rennen in eineinhalb Jahren tatsächlich wieder ins Leben gerufen werden können, wird es bei aller Tradition in mehrfacher Hinsicht sicherlich ein anderes sein.

Weiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößernWeiteres Foto - mit Klick vergrößern

Mehr Informationen zu diesem Thema

24.12.2015Der Schock von Aldeburgh und das Happy End in Richmond

(rsn) - John Degenkolbs Sanremo-Roubaix-Double, Tony Martins lange ersehntes Gelbes Trikot, Emanuel Buchmanns überraschender DM-Sieg, Simon Geschkes Triumph in Pra Loup, André Greipels vier Etappens

23.12.2015Münsterland Giro - mein erstes deutsches Rennen

(rsn) - Es mag komisch klingen, ist aber tatsächlich wahr: Der deutsche Radsport war einst der Auslöser meines Interesses an Deutschland. Während der Tour de France 2001 hatte ich in meiner Heimats

22.12.2015John Degenkolb holt Paris-Roubaix - und das Team aufs Podium

(rsn) - Endlich. Seit der Premiere 1896 gewann kein Deutscher mehr Paris-Roubaix: Bis zum 12. April 2015. Doch was mich an diesem Tag am meisten begeisterte, war nicht die eindrucksvolle Fahrt von Joh

20.12.2015"Big mistake" im Interview mit Boonen

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Christoph Adamietz hatte in diesem Jahr bei "Rund um Köln" einen Eins

10.12.2015Ein Schutzengel namens Rudi

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Wolfgang Brylla hat ganz besonders Katusha-Sprinter Rüdiger Selig imp

06.12.2015Monumentaler Lombardei-Triumph wie aus dem Bilderbuch

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Für Guido Scholl war es der Triumph von Vincenzo Nibali (Astana) bei

05.12.2015"Spartakus" zeigte Größe durch Menschlichkeit

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Thomas Goldmann erklärt in seinem Beitrag, weshalb für ihn Fabian Ca

03.12.2015"Simonis" großer Auftritt in Pra-Loup

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Für Lorenz Rombach steht ohne Zweifel fest: Simon Geschkes couragiert

02.12.2015Hart wie Hansen

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Daniel Brickwedde bewundert einen Marathon-Man von Down Under, dessen

01.12.2015Der "Gorilla" spielte endlich die erste Geige

(rsn) - Wie schon im vergangenen Jahr schreiben die Mitarbeiter der Redaktion von Radsport News über ihr Radsport-Ereignis 2015. Den Anfang macht Sebastian Lindner, den die Auftritte von André Greip

Weitere Radsportnachrichten

14.05.2024Kooij, Kanter und Vernon nicht mehr beim Giro dabei

(rsn) – Die Fraktion der Sprinter beim Giro d’Italia ist nach dem ersten Ruhetag um gleich drei Namen geschrumpft. Olav Kooij (Visma – Lease a Bike), Max Kanter (Astana Qazaqstan) und Ethan Vern

14.05.2024Liste der ausgeschiedenen Fahrer / 10. Etappe

(rsn) - 176 Profis aus 22 Teams sind am 4. Mai zum 107. Giro d’Italia (2.UWT) angetreten, darunter auch zwölf Deutsche, vier Österreicher, zwei Schweizer und ein Luxemburger. Hier listen wir a

14.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morgen

13.05.2024Bergankunft Nr. 3: Kurze Etappe, langer Schlussanstieg

(rsn / ProCycling) – Schon in der ersten Woche des 107. Giro d´Italia hat es Ausreißversuche gegeben, die von Erfolg gekrönt waren. Doch erst die 10. Etappe durch den südlichen Apennin weist ein

13.05.2024Martinez und Bora wollen nicht nur Platz 2 verteidigen

(rsn) – Sollte der Status Quo beim Giro d´Italia auch nach der Schlussetappe in Rom noch Bestand haben, so wäre man bei Bora – hansgrohe sicher zufrieden. Ein zweiter Gesamtplatz mit Kapitän Da

13.05.2024Schachmann: Etappenjäger in wichtiger Doppelfunktion

(rsn) – Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe) hat sich von seinem Sturz 58 Kilometer vor dem Ziel der 9. Etappe beim Giro d´Italia bereits recht gut erholt. Das bestätigte der 30-Jährige am

13.05.2024Mit Rouvy Grand-Tour-Recon im Wohnzimmer?

(rsn) - Analoge und digitale Welten verschränken sich immer mehr, auch beim Radsport. Auf besondere Weise dreht Rouvy mittlerweile die Schraube weiter. Auf der 2017 von den Brüdern Petr und Jiri Sam

13.05.2024Erholter Démare kehrt in Dünkirchen ins Feld zurück

(rsn) – Nachdem er aufgrund von Erschöpfungserscheinungen seine Klassikerkampagne bereits nach Gent-Wevelgem am 27. März hatte beenden müssen, kehrt Arnaud Démare (Arkéa - B&B Hotels) in seiner

13.05.2024Thomas kritisiert Neapels Straßen: “War ein absolutes Gemetzel“

(rsn) – Ein astreiner Massensprint und breite Straßen auf den letzten Kilometern: Auf den ersten Blick war das Finale der 9. Etappe beim Giro d´Italia in Neapel nichts Besonderes. Doch im Peloton

13.05.2024Die letzten Hügel taten Milans Beinen weh

(rsn) – Im vergangenen Jahr musste sich Jonathan Milan in Neapel am Ende der damaligen 6. Giro-Etappe Mads Pedersen geschlagen geben. Damals stand der Italiener noch bei Bahrain Victorious unter Ver

13.05.2024Bringt der Flèche du Sud den erhofften “Bumms“?

(rsn) - Gleich fünf der neun deutschen Kontinental-Teams waren in der vergangenen Woche beim Fléche du Sud (2.2) dabei. In Luxemburg standen sie allerdings zumeist im Schatten ihrer für internatio

12.05.2024Trotz widriger Umstände rast Kooij beim Giro zum ersten Sieg

(rsn) - Die ersten beiden Massensprints des diesjährigen Giro d’Italia (2. UWT) liefen nicht nach dem Geschmack von Olav Kooij und seinem Team Visma – Lease a Bike. Doch die dritte Chance konnte

RADRENNEN HEUTE

    WorldTour

  • Giro d´Italia (2.UWT, ITA)
  • Radrennen Männer

  • 4 Jours de Dunkerque / Grand (2.Pro, FRA)
  • Tour d´Algérie (2.2, DZA)