RSN-Jahresrangliste 2015, Platz 10: Charlotte Becker

Eine Saison zwischen Straßen-Rückschlägen und Bahn-Medaillen

Von Felix Mattis

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Beim Philly Cycling Classic gewann Becker den "Suffer Prize" der kämpferischsten Fahrerin. | Foto: Cor Vos

15.01.2016  |  (rsn) - Mit einem Titelgewinn endete für Charlotte Becker kurz vor Weihnachten ein sehr langes Radsport-Jahr: Am 18. Dezember entschied sie in Frankfurt an der Oder die Deutschen Meisterschaften im Scratch für sich und holte tagsdrauf auch noch Bronze im Omnium. Seit die Wahl-Berlinerin sich 2014 entschied, neben der Straße auch wieder auf der Bahn unterwegs zu sein, hat sie ein volles Programm: Höchste Priorität genießt dabei die Qualifikation für die Olympischen Spiele von Rio mit dem Verfolgungs-Vierer.

"Ich werde mich bis Rio voll auf die Bahn konzentrieren", sagt Becker sieben Monate vor den Olympischen Wettkämpfen. "Wenn wir noch einen Schritt weiter kommen wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, alles auf die 'Bahncard' zu setzen." Dementsprechend hält sich die 32-Jährige derzeit auch nicht im Straßen-Trainingslager in Südspanien oder auf Mallorca auf, sondern in Hong Kong, wo am Wochenende das Finale des Bahn-Weltcups ansteht.

Eine Saisonpause gab es für Becker in diesem Winter genauso wenig wie im letzten, als sie erst nach den Bahn-Weltmeisterschaften im Februar für fünf Wochen ohne Wettkampf war. "Da ich nach der WM gleich vier Wochen Praktikum bei der Bundespolizei gemacht habe, fiel das Training eher spärlich aus", erinnert sich Becker und weiß heute, was sie hätte anders machen sollen: "In der Zeit hätte ich einfach gar nicht Radfahren sollen. Denn so war ich einfach nur müde und erschöpft, anstatt nach einer kleinen Saisonpause wieder frisch einen ordentlichen Aufbau zu machen. Ich bin schon müde und trotzdem ohne nötige Grundlage in die ersten Rennen gegangen."

Deshalb hatte sie im Frühjahr lange hart zu kämpfen, beendete weder Flandern-Rundfahrt noch Energiewacht Tour oder Ronde van Overijssel und fuhr ihr bestes Ergebnis bis Mitte Mai mit Rang 48 im Prolog der Energiewacht Tour ein. Dann aber ging es nach China, bei der Tour of Zhouzhan Island fuhr die Vorjahressiegerin auf Gesamtrang drei. Die Form wurde immer besser, und beim Weltcuprennen Philly Cycling Classic in Philadelphia machte Becker mit einer Solo-Flucht im Finale einen sehr starken Eindruck.

Es folgten zwei Silber-Medaillen bei der Deutschen Bahn-Meisterschaft in Berlin, wo sie im Qualifikationslauf für die 3000-Meter-Einerverfolgung in 3:38,954 Minuten sogar persönliche Bestzeit fuhr. "Deswegen hatte ich eine Woche danach eigentlich schon höhere Erwartungen an die Straßen-DM", so Becker, die nach dem Einzelzeitfahren in Einhausen (Platz sechs) am Boden zerstört war. "Was dort los war, kann ich mir eigentlich nur damit erklären, dass vielleicht alles zu viel war. Das war wirklich eine derbe Enttäuschung für mich!"

Auch Beschwerden mit einem bereits früher an der Wurzel behandelten Backenzahn beeinträchtigten Beckers Leistung, und so entschloss sie sich, direkt nach den Meisterschaften zum Abschied von selbigem. Doch Becker hatte Pech: Die Wunde entzündete sich und verheilte nur sehr langsam, was die Wahl-Berlinerin drei Wochen später auf der 6. Etappe zur Aufgabe der Thüringen-Rundfahrt zwang.

Mit der psychischen Unterstützung ihres Teams im Rücken ging es anschließend endlich wieder bergauf. "Motivation funktioniert besser, wenn man sich auf neue Einsätze mit seinen Teamkolleginnen freut", sagt sie und hatte sichtbar Spaß, als es Mitte August zur Heimatrundfahrt ihres Rennstalls, der Ladies Tour of Norway ging. Becker wurde Siebte auf der 1. Etappe und beendete das Rennen auf Gesamtrang zehn. "Es lief wieder richtig gut und ich habe gedacht: 'So, der Zahn ist weg und die alte Lotte ist wieder da'."

Doch der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. Nach einer Woche im Teamcamp an der schwedischen Küste kam Hitec Products im Weltcup-Mannschaftszeitfahren von Vargarda nicht über Rang neun hinaus, und zwei Tage später stürzte Becker im Weltcup-Straßenrennen schwer. Eine tiefe Fleischwunde am Ellbogen, die bis auf den Knochen ging, musste genäht werden. "Eine großflächige Wunde am Bein hat mir aber noch mehr Probleme gemacht."

Normalerweise wäre wohl wieder eine Pause angebracht gewesen, doch Becker machte sich ernsthafte Sorgen um ihren WM-Startplatz und reiste nur eine Woche später trotzdem zur verregneten Boels Rental Ladies Tour in die Niederlande, wo sie viel arbeitete, aber nicht über einen 65. Platz auf der 3. Etappe hinauskam und auch die Ausreißergruppen verpasste. "Mir hat alles weh getan", erinnert sie sich. "Und ich hatte Angst, wieder auf dieselben Stellen zu stürzen."

Trotzdem lohnte sich der Einsatz, denn Bundestrainer André Korff nominierte sie für den WM-Kader, und Becker zeigte bereits am 13. September bei der Madrid Challenge am Schlusstag der Vuelta a Espana, dass er damit richtig lag. Becker war eine der aktivsten Fahrerinnen und schuftete trotzdem auch viel für Teamsprinterin Kirsten Wild.

Im WM-Straßenrennen schließlich arbeitete sie während der ersten Runden für ihre Kapitäne Lisa Brennauer und Trixi Worrack, stieg während der Schlussrunden aber aus. "Ich war froh, das Vertrauen bekommen und am Start gestanden zu haben - wenn auch sicher nicht mit der besten Form meines Lebens", so Becker im Nachhinein.

Doch es wäre nicht das Jahr 2015 gewesen, wenn auf Becker nicht auch bei der WM noch ein Tiefschlag gewartet hätte: Denn als sie zum Start des Mannschaftszeitfahrens kam, monierten die Kommissäre einen zwei Millimeter zu langen Lenkeraufsatz, den sie beim Vortest zwei Stunden zuvor noch durchgewunken hatten. In den wenigen Minuten bis zum Start war nun nichts mehr zu machen, und so musste Becker schwer enttäuscht zusehen, wie ihre Teamkolleginnen von der Startrampe rollten und ohne ihre Kapitänin auf Rang zehn fuhren.

Natürlich will Becker, die 2016 wieder für Hitec Products startet, auch dieses Jahr in Katar wieder zum deutschen WM-Kader gehören. "Die ist ja sehr spät", weiß sie. "Von daher gehe ich nicht davon aus, dass man schon im April die Straße einreißen muss, um im Oktober bei der WM gut zu sein." Das kommt Becker entgegen, denn im Olympia-Jahr sollte man von der Bahnfahrerin im Frühjahr auf der Straße noch weniger erwarten als 2015.

"Wir werden trotzdem Straßen-Wettkämpfe fahren, aber eben alles darauf ausgerichtet, was für die Bahn am meisten Sinn macht", kündigt sie an.

Hier punktete Becker 2015:
3. Etappe 2, Tour of Zhouzhan Island (3 Punkte)
3. Gesamt, Tour of Zhouzhan Island (13 Punkte)
5. Punktewertung, Tour of Zhouzhan Island (0,5 Punkte)
14. Chrono de Gatineau (2 Punkte)
15. Omloop van de Ijsseldelta (0,5 Punkte)
6. DM Zeitfahren (2 Punkte)
5. DM Straße (3 Punkte)
7. Etappe 1, Ladies Tour of Norway (0,5 Punkte)
10. Gesamt, Ladies Tour of Norway (3 Punkte)

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