Guadeloupe-Tagebuch von Hermann Keller

Selten so einen Mannschaftsgedanken erlebt

Von Hermann Keller

Foto zu dem Text "Selten so einen Mannschaftsgedanken erlebt"
Hermann Keller (Embrace the World, li) und seine Teamkollegen bei der Tour de Guadeloupe| Foto: Embrace the World

12.08.2019  |  (rsn) - Ein letztes Mal sage ich Hallo aus Guadeloupe, heute stand die letzte Etappe an. Die Strecke war anfangs hügelig mit zwei kleinen Bergwertungen und führte dann auf einen welligen Rundkurs. Da das Rennen erst um die Mittagszeit startete, konnten wir endlich mal ausschlafen. Auch beim Frühstück konnte man sich Zeit lassen und wir trafen uns dann erst zum Mittagessen zur Teambesprechung.

Wir überlegten uns verschiedenste Szenarien, um das Gelbe Trikot dem Führenden aus- und Freddy anzuziehen. Der Kurs war allerdings nicht so richtig schwer, dafür die Beine aber umso schwerer. Wir fuhren mit dem Rad zum Rennen und machten uns so langsam fertig. Das Rennen ging los und direkt nach dem scharfen Start wurde attackiert. Was denn auch sonst, es ist ja erst Tag neun. Mir ging es anfangs, im Vergleich zu den attackierenden Mitstreitern, nicht so gut. Deshalb hielt ich mich auch ca. die ersten 69 Kilometer hinten auf. Basti schaffte sogar einmal den Sprung in die Spitzengruppe, allerdings war man sich dort nicht einig und die Einheimischen attackierten wie die Wilden. Völlig verständlich, denn Solosiege sind einfach schöner als Siege aus einer Gruppe heraus. Ob das Solo wirklich 100 Kilometer lang sein muss, sei mal so dahingestellt.

Kurz bevor es auf den Zielkurs ging, schaffte es tatsächlich eine Gruppe sich abzusetzen. Wir waren leider nicht mit dabei. Ich habe bis jetzt auch noch nicht so ganz begriffen wie die Gruppe zeitweiße knappe zwei Minuten Vorsprung herausfahren konnte. Ich konnte mich über die Wellen gerade so im Feld halten. Zum Glück gingen meine Beine irgendwann auf, und so schnupperte auch ich mal ein wenig Luft an der Spitze. Ein paar Attacken auf das Gesamtklassement wurden geritten, auch wir versuchten ein paar Mal den Capitano in Position zu bringen, aber es waren alle Teams aufmerksam und neutralisierten sich gegenseitig. Man merkte auch, dass viele Einheimische die letzte Chance sich nochmal zu zeigen, nutzen wollten, denn es war sehr hektisch und chaotisch. Selbst der furchteinflößende Capitano wurde bedrängt, was er mit einem Zeigen seines Eherings (denke ich, genau konnte ich es nicht erkennen) quittierte. Er ist ja schließlich in festen Händen, und überhaupt nicht auf fremden Körperkontakt aus!

Im Finale hielten wir erst gemeinsam Freddy vorne, nicht dass er hinter einem Sturz oder schlimmer noch, in einem Sturz, Zeit verlieren würde. Bei der drei Kilometer Marke schnappte ich mir dann Peschgi und wir machten uns auf den Weg nach vorne. Wir entgingen ganz knapp durch ein artistisches Kunststück einem Sturz, und kamen so relativ gut positioniert zur Flamme Rouge. Marcel startete bei ca. 800 Metern und überholte die anderen Züge als würden sie auf dem Abstellgleis stehen. Es war ein TGV gegen eine Regionalbahn. Allerdings beide ohne Klimaanlage.

Als es noch 300 Meter waren, sah ich die Spitzengruppe und zog meinen Sprint an, dockte noch kurz an der Gruppe an und gewann den Sprint vom Feld. Leider hatte sich die Gruppe aber zuvor zerlegt und ich wurde somit nur Fünfter. Ein schönes Resultat zum Abschluss, aber natürlich ist es immer bitter einen Sprint zu gewinnen aber nicht das Podest betreten zu dürfen. Allzu gerne hätte ich die Champagnerflasche entgegengenommen und wild um mich gesprüht!

Leider sind wir aber nicht alle heil angekommen – Simon geriet noch in einen großen Sturz bei der 400 Meter Marke. Das Pech scheint ihm hier wirklich an den Radschuhen zu kleben. Er kam aber glimpflich davon und wir wünschen ihm alle eine gute Besserung.

Der Capitano konnte seinen dritten Platz im Gesamtklassement sicher ins Ziel bringen, was uns alle sehr freut. Natürlich war ich etwas traurig, nicht das gesamte Team zur Verfügung gestellt zu bekommen als ich das Bergtrikot trug, aber ich denke, el Capitano hat seine „Co-Kapitänsrolle“ mehr als genutzt und auch den fleißigen Arbeiterbienchen gezeigt, dass es durchaus Spaß machen kann für ein größeres Ziel zu arbeiten.

Persönlich hatte ich mir zum Ziel genommen, einmal das Podium betreten zu dürfen, was ich durch den dritten Platz beim Prolog bereits erreicht hatte. Zudem das Bergtrikot tragen zu dürfen und zudem bei den Sprintetappen die Unterstützung der Mannschaft in meinem Rücken zu wissen, war ein sehr tolles Gefühl. Im Allgemeinen muss ich sagen, selten so einen Mannschaftsgedanken erlebt zu haben. Wirklich jeder Einzelne hat die persönlichen Ziele hintenangestellt, um zum Großen Ganzen beizutragen.

Ein riesiges Dankeschön an dieser Stelle an alle, die diese Expedition ermöglicht haben. Wir haben den Abend noch bei dem ein oder anderen Glas Wein, Bier und Rum ausklingen lassen. Getreu dem Motto “Ehre wem Ehre gebührt“! Ich hoffe ich konnte der ein oder anderen Person ein Lächeln aufs Gesicht zaubern und ihr hattet Spaß beim Lesen.

Bis zum nächsten Mal, denn vor der Rundfahrt ist bekanntlich nach der Rundfahrt!

Herzallerliebste Grüße,

Hermann

Mehr Informationen zu diesem Thema

11.08.2019Als Zombie aufgewacht, aber gut gelaunt eingeschlafen

(rsn) - Hallo und guten Morgen zum nächsten Eintrag. Auf dem heutigen Plan stand zuerst ein Straßenrennen über 86 Kilometer und danach ein Einzelzeitfahren über 24 Kilometer. Als ich aufwachte, da

10.08.2019Wieso sind hier alle so gemein zu mir?

(rsn) - Liebes Tagebuch, wieso sind hier alle so gemein zu mir? Der Tag begann eigentlich sehr gut, denn auf dem Plan stand eine eher entspannte Etappe. Nur ein Berg zu Beginn, den wir aber schon kan

09.08.2019Während Freddy den Berg hochflog, flogen hinten die Fäuste

(rsn) - Hallo Freunde, es ist vollbracht! Wir haben die härteste Etappe hinter uns gebracht und sind noch mit allen sechs Fahrern im Rennen. Einfach war das jedoch nicht! Auf uns warteten, auf 126 Ki

08.08.2019Ob die Gelbwesten Guadeloupe infiltriert haben?!

(rsn) - Heute stand für uns die 5. Etappe an. Das Profil sollte flach sein mit einem Berg gegen Ende. Das "flach“ ersetzen wir sicherheitshalber mal mit "hügelig“. Um fast Punkt 8 Uhr charterte

07.08.2019Es ging zu wie beim Bahnrennen hinter dem Derny

(rsn) - Willkommen zum Eintrag über die 4. Etappe der Tour der Guadeloupe. Schon beim Aufstehen war die Stimmung in unserem "Zimmer der Schwergewichte" etwas betrübt, so wussten wir alle um die vi

06.08.2019Dombrowski rutscht in Guadeloupe vom 3. auf den 5. Rang

(rsn) - In der Rubrik Ergebnisse liefern wir in kompakter Form und unmittelbar nach Zieleinlauf einen kurzen Überblick über die Ergebnisse der wichtigsten UCI-Rennen unterhalb der WorldTour. Tour de

06.08.2019Unser Capitano Freddy zündete ein Feuerwerk

(rsn) - Ein tropisches Hallo zur 3. Etappe, auf dem Programm standen heute vier Bergwertungen, wovon eine direkt nach dem Start auf uns wartete. Die Marschroute war daher klar: den ersten Berg überle

05.08.2019Nach 18 Jahren als Lizenzfahrer erstmals im Bergtrikot

(rsn) - Ein herzliches Hallo aus dem französischen Überseedepartement Guadeloupe. Wir sind hier zur Tour de Guadeloupe angereist und haben auch schon die ersten Rennen hinter uns, daher werde ich ku

Weitere Radsportnachrichten

02.05.2024Giro d`Italia: Die letzten zehn Jahre im Überblick

(rsn) - Der Giro d`Italia ist traditionell die erste dreiwöchige Landesrundfahrt im Rennkalender, bei der sich immer wieder auch die Deutschen als Etappenjäger hervortaten. Im Jahr 2022 konnte das

02.05.2024“Underdogs“ Bauhaus und Kanter hoffen auf Giro-Etappensiege

(rsn) – Olav Kooij (Visma – Lease a Bike), Tim Merlier (Soudal – Quick-Step), Fabian Jakobsen (dsm-firmenich – PostNL), Jonathan Milan (Lidl – Trek), Kaden Groves (Alpecin – Deceuninck),

02.05.2024Bénin: Jury nimmt Bike Aid das Gelbe Trikot wieder weg

(rsn) – Erneuter Tiefschlag für das Team Bike Aid bei der Tour du Bénin (2.2). Nachdem Yoel Habteab zum Auftakt seinen Etappensieg aberkannt bekommen hatte, weil er und seine Gruppe den Motorräd

02.05.2024Großes Vorschau-Paket: Die Strecke des Giro d´Italia 2024

(rsn) – Sechs Bergankünfte, zwei Einzelzeitfahren, toskanischer Schotter, der Mortirolo, der Stelvio und zum krönenden Abschluss zwei Mal der Monte Grappa – das ist der 107. Giro d´Italia (4. -

02.05.2024Radsport live im TV und im Ticker: Die Rennen des Tages

(rsn) – Welche Radrennen finden heute statt? Wo und wann kann man sie live im Fernsehen oder Stream verfolgen? Und wo geht´s zum Live-Ticker? In unserer Tagesvorschau informieren wir jeden Morg

01.05.2024Highlight-Video des 61. Eschborn-Frankfurt

(rsn) – Maxim Van Gils (Lotto – Dstny) hat die 61. Ausgabe von Eschborn – Frankfurt (1.UWT) gewonnen. Der 24-jährige Belgier setzte sich über 203,8 Kilometer von Eschborn nach Frankfurt im Spr

01.05.2024Bergkönig Degenkolb feiert in Frankfurt erst nach tiefem Frust

(rsn) - Neben Sieger Maxim Van Gils (Lotto Dstny) war John Degenkolb (dsm–firmenich - PostNL) der Mann des 61. Eschborn - Frankfurt. Der Lokalmatador war 150 Kilometer als Ausreißer unterwegs und k

01.05.2024In der Übersicht: Die Aufgebote für den 107. Giro d´Italia

(rsn) – Am 4. Mai beginnt in Venaria Reale nördlich von Turin mit dem Giro d’Italia (2.UWT) die erste Grand Tour des Jahres. Insgesamt 176 Fahrer aus 22 Teams nehmen die 107. Ausgabe der Italien-

01.05.2024Schachmann düste von der Alten Oper direkt zum Flughafen

(rsn) - Nach dem hessischen Klassiker ist vor dem Giro – zumindest für Maximilian Schachmann (Bora – hansgrohe). Der zweimalige Deutsche Meister musste sich nach der Zieleinfahrt in Frankfurt, be

01.05.2024Deutsche Talente verpassen es, sich in Szene zu setzen

(rsn) - Für die deutschen Fahrer und Teams gab es bei der U23-Variante von Eschborn - Frankfurt (1.2u) nichts zu holen. Nach 129 Kilometern und zwei Feldberg-Überquerungen machte eine international

01.05.2024Highlight-Video der 4. Etappe der Vuelta Femenina

(rsn) – Kristen Faulkner hat bei der 10. Vuelta Femenina für den zweiten Sieg einer Fahrerin von EF Education – Cannondale gesorgt. Nachdem ihre Teamkollegin Alison Jackson den zweiten Abschnit

01.05.2024Bénin: Bike Aid holt sich mit einem Tag Verspätung Gelb

(rsn) - Nachdem Bike-Aid-Fahrer Yoel Habteab zum Auftakt der Tour du Bénin (2.2) das Gelbe Trikot noch verwehrt blieb, weil ihm der Etappensieg genommen und er hinter Azzedine Lagab auf Platz zwei z

RADRENNEN HEUTE
  • Keine Termine